MARTIN LORENZ - LIVE
Martin Lorenz, Turntables
16. November 2012 | Message Salon, Perla-Mode, Zürich CH


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LOOP 06
Martin Lorenz
DUMPF EDITION #01 | handcrafted vinyl | limited edition


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SIGNS - SHAPES
Teodora Stepancic, Piano
Martin Lorenz, Turntables
DUMPF EDITION #03 | track 01



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KOMPOSITION ALS EINSCHREIBUNG
zur Arbeit von Martin Lorenz

In seinem 1922 veröffentlichten Aufsatz „Produktion – Reproduktion“ *) plädiert der Bauhaus-Maler, Designer und Fotograf László Moholy-Nagy für eine neue Verwendung des Grammophons. Es soll nicht mehr länger nur der Wiedergabe von zuvor aufgenommenen Klängen dienen, sondern selbst zur „Produktion“, zur Herstellung neuer, nie zuvor dagewesener Klänge verwendet werden. Moholy-Nagy stellt sich vor, dass diese „noch nicht existierenden Töne und Tonbeziehungen“ durch eine „Ritzen-Handschrift“ direkt vom Komponisten in die Schallplatte eingezeichnet werden. Diese frühe Form der Klangsynthese findet in einem Spannungsfeld von Notation und Technologie statt, in dem die Grenzen zwischen Komposition und Klangsynthese verschwimmen.

Die Arbeit des Komponisten und Schlagzeugers Martin Lorenz teilt mit Moholy-Nagys Konzept die Idee einer „Ritzen-Handschrift“, eines direkten, kompositorischen Einschreibens in die Schallplatte und lotet ebenfalls einen Zwischenbereich von Komposition, Klangsynthese und Notation aus. Wesentlich für Lorenz' Arbeit und Kompositionsprozess sind jedoch auch die beiden Bereiche „vor“ und „nach“ dem Einritzen in die Schallplatte selbst. Die handgeritzten Klänge werden auf Grundlage von algorithmisch erzeugten Zeitabständen – für die die LP-Umdrehungsgeschwindigkeit von 33 1/3 rpm als grundlegendes Tempo wirkt – platziert. Für einige seiner Werke erstellt Lorenz zunächst Sinustonabfolgen, die er computergestützt nach bestimmter Regel erzeugt, auf eine Schallplatte pressen lässt und hierauf durch manuelles Einritzen bearbeitet. Es entstehen somit Klangmischungen aus geritzten Impulsen und zuvor aufgenommenen Signalen. Die geritzten Klänge werden gewissermaßen eingefärbt.

Schon bei der Erstellung der Sinustonabfolgen arbeitet Lorenz auf einer mikro-zeitlichen Ebene, er setzt die Wellenform aus Sinusschwingungen kompositorisch zusammen. Hier werden wieder die Grenzen zwischen Klangsynthese und Komposition, sowie Notation und Klangdarstellung aufgelöst, diesmal im digitalen Bereich. Die so hergestellten Schallplatten werden zu einem Vorrat an klanglichen Strukturen aus dem Lorenz, als Turntabelist, im Rahmen seiner Live-Performance neue musikalische Zusammenhänge formt.

Die direkte kompositorische Synthese des Klangs rückt Lorenz' Arbeit auch in die Nähe der sogenannten „Non-Standard Synthesis“, wie sie die Komponisten G. M. Koenig, Herbert Brün und Iannis Xenakis entwickelten. Hier wird der digitale Abtastwert („Sample“) zur musikalischen Größe, der mit Hilfe von kompositorischen Regeln organisiert wird. Diese Klangsynthesemethoden entstammen einer Übertragung von Prinzipien der algorithmischen Komposition, also der regelhaften und formalisierten Beschreibung des Kompositionsprozesses, auf die Klangerzeugung. Wie bei der „Non-Standard Synthesis“ geht auch Lorenz' Arbeit von den Begrenzungen und Bedingungen des Mediums aus und verbindet kompositorische, geregelte Prozesse mit der Klangerzeugung selbst. Wo diese Herangehensweisen bei Komponisten wie Koenig, Brün und Xenakis zu äußerst komplexen Resultaten führen, interessiert sich Lorenz für minimale, kombinatorische Prozesse. Darüber hinaus finden in der Arbeit von Martin Lorenz auch mediale Überlagerungen und Wechselwirkungen statt, der Kompositionsprozess beginnt mit der regelhaften Beschreibung einer Klangwellenform im digitalen Bereich und geht dann in den mechanisch-analogen Bereich über. Das Digitale fungiert in Lorenz' Arbeit als ein Virtuelles, das sich im Analogen physisch, mechanisch und performativ konkretisiert.

Herbert Brün schrieb: „Musik sind die von Komposition hinterlassenen Spuren“ **). Das Erzeugen von Spuren in der digitalen Wellenform und mechanisch auf der Schallplatte steht im Mittelpunkt der Arbeit von Martin Lorenz; der Kompositionsprozess wird zu einem Vorgang der Einschreibung.

Luc Döbereiner, August/September 2011

*) László Moholy-Nagy: “Produktion - Reproduktion”, in: De Stijl, Jg. 5, H. 7 (Juli 1922), S. 98-100.
**) Herbert Brün: “As to the Computer...”, in: Arun Chandra (Hrsg.): 2004. When Music Resists Meaning, Middletown: Wesleyan UP, S. 216-224.








Martin Lorenz, LOOP 06, handcrafted vinyl, LE 20/20








Martin Lorenz, FREQUENCIES, handcrafted vinyl, LE 20/20